Bärenkind 2007 – Annika Werstein ist glücklich in ihrer Welt
Hausacher Bärenkinder (3): Zum 20. Mal stehen in diesem Jahr zwei „Bärenkinder“ im Fokus des Bärenadvents. Wie geht es eigentlich den ehemaligen „Bärenkindern“? Heute: Annika Werstein.
Annika Werstein strahlt, reckt eine Hand in die Höhe und ruft begeistert „Ja“, als sie gefragt wird, ob wir noch einmal darüber schreiben dürfen, wie es ihr geht. Es geht ihr gut – in ihrer Welt. Sie kann sich so herrlich freuen und diese Freude auch zeigen: Wenn sie jemand begrüßt, den sie mag, wenn Menschen positiv auf sie zugehen, wenn ihre Betreuerin ihren Hund mitbringt, wenn sie mit auf ein Fest kann, Freizeit mit dem Club 82 verbringt oder wenn sie etwas mit ihrem Freund Olli unternehmen darf.
Aber sie bemerkt durchaus auch blöde Scherze und eine negative Aura – das tut ihr weh. Und sie kann negative Gefühle ebenso heftig ausdrücken wie ihr Glück. Dann kann es schon mal sein, dass Papa Werstein mit einem zerrissenen T-Shirt durch Haslach laufen muss, weil seine Tochter partout noch nicht heim wollte.
Bärenadvent nie bereut
Die jetzt 23-Jährige kann sich selbst nicht erinnern an ihre Zeit als „Bärenkind“ – ihre Eltern umso mehr. „Es war eine tolle, sehr emotionale Erfahrung“, berichtet Mama Nicole Werstein. Sie selbst sei „nicht so ein Öffentlichkeitsmensch“, sie trafen die Entscheidung bewusst für Annika, und haben sie nie bereut. Das Menschliche sei im Vordergrund gestanden, und heute noch gebe es eine innige Herzlichkeit mit dem „Bärenteam“ und anderen „Bäreneltern“. Papa Frank Werstein hat sich auch danach und bis heute oft für den Hausacher Bärenadvent eingesetzt.
Es war im vierten Jahr, als der Hausacher Bärenadvent erstmals die Stadtgrenzen sprengte und ein Fischerbacher Kind zum „Bärenkind“ auswählte. Annika Werstein war damals sieben Jahre alt. Ein fröhlicher Wildfang, der seinen Eltern mit seinem sonnigen Gemüt Freude, aber auch viel Kummer machte. Erst als Annika ein halbes Jahr alt war, hatte sich der Verdacht bestätigt: Cerebralparese, eine frühkindliche Hirnschädigung.
Wersteins fragten nie, „Warum gerade wir?“, wohl aber, warum überhaupt. Bis heute weiß niemand, was diese Hirnschädigung ausgelöst hat. Noch war den Eltern nicht klar, welche Auswirkungen die geistige und körperliche Behinderung ihrer zweiten Tochter auf ihr Familienleben haben sollte – das später noch um zwei weitere, gesunde Kinder bereichert wurde.
Froh um die Lebenshilfe
Ihr Traumziel sei, dass Annika irgendwann ein selbstständiges Leben führen kann, sagten die Eltern damals. Das ist zumindest soweit erreicht, als sie daheim ausziehen konnte und nun betreut in einem Wohnheim der Lebenshilfe in Steinach lebt. An guten Tagen schafft sie es, sich allein anzuziehen und ihr Frühstück selbst zu richten, bevor sie mit dem Bus abgeholt wird.
Den Tag verbringt sie in der Heilpädagogischen Tagesgruppe in der Lebenshilfe, deren Name Programm ist. „Es ist wunderbar, wie unsere Gesellschaft strukturiert ist, wie solche Menschen aufgefangen werden“, ist Frank Werstein dankbar für die Hilfen.
Das habe schon im Kindergarten „Sternschnuppe“ in Hausach begonnen und wurde in der Körperbehindertenschule in Offenburg und in der Carl-Sandhaas-Schule in Haslach fortgesetzt. Ob beim therapeutischen Training im Haslacher Fitnessturm oder bei der Reittherapie auf dem Gutacher Bachbauernhof: Überall treffe Annika auf wohlwollende Menschen.
Ausflüge mit dem Liegerad
Sie kämen als Eltern oft an ihre Grenzen, Unterstützung sei unglaublich wichtig: „Da fühlt man sich aufgefangen und gut versorgt“. Auch der Hausacher Bärenadvent sei eine solche Hilfe. Es gebe Länder, da stünden Eltern mit ihren besonderen Kindern ganz allein da. „Man unterschätzt das, wie sehr Geschwisterkinder oft zurückstehen müssen“, sagen die Eltern und sind glücklich über das innige Verhältnis von Annika zu ihren Geschwistern.
An Wochenenden, Feiertagen, bei Krankheit oder im Urlaub ist Annika meist daheim bei ihren Eltern in Fischerbach. Dann liebt sie es, mit ihrem Liegefahrrad auszufahren. Ihr Vater fährt unbemerkt im Abstand hinterher, um eingreifen zu können, wenn sie Hilfe braucht. Oft sprängen aber auch fremde Menschen ein. Dann hält sich der Papa im Hintergrund und lässt seiner Tochter das beglückende Gefühl, sie habe die Radtour ganz allein geschafft.